Hersteller von Erdwärmekomponenten und Zubehör
Gera: Die Arbeitslosenzahlen behinderter Menschen stagnieren

Gera: Die Arbeitslosenzahlen behinderter Menschen stagnieren

Die Arbeitslosenzahlen behinderter Menschen stagnieren. Weil es immer noch zu wenige gibt, die ihnen eine Chance geben.

Gera. „Den kriegen wir doch nie wieder los“. Das ist oft die erste Reaktion von Unternehmern der Region, wenn es darum geht, behinderte oder schwerbehinderte Menschen einzustellen.

Auch deshalb haben sie keinen Anteil am Aufschwung des Arbeitsmarktes. Sanken im Bezirk der Agentur für Arbeit Altenburg-Gera von 2013 bis Ende 2018 die Arbeitslosenzahlen von rund 19.600 auf 11.300, so stagniert die Zahl arbeitsloser schwerbehinderter Menschen nahezu. Sie liegt heute bei rund 800 und lag 2013 bei etwa 1070 Personen.

Carsten Rebenack, Sprecher der Arbeitsagentur, erlebt regelmäßig diese großen Vorbehalte. Katja Oertel , Beraterin für Rehabilitation und schwerbehinderte Menschen in der Arbeitsagentur, erfährt in den Gesprächen mit Arbeitgebern auch warum. „Unser Arbeitsmarkt ist so gestrickt, das klein- und mittelständische Unternehmen so wenig Personal haben, dass sie sich nicht speziell kümmern und oft auch nicht abschätzen können, was zu beachten und möglich ist“, sagt sie.

Gefordert: Fünf Prozent der Belegschaft

Doch diese Beschäftigungspflicht haben nur größere Betriebe. Ab 20 Mitarbeitern muss mindestens ein schwerbehinderter Mitarbeiter eingestellt werden. Leistet das Unternehmen das nicht, sind Ausgleichsabgaben zu zahlen. Bei einer Beschäftigungsquote von beispielsweise weniger als zwei Prozent werden 320 Euro fällig. Die Ausgleichsabgabe muss der Arbeitgeber selbst errechnen und den Betrag für das Vorjahr bis Ende März an das Integrationsamt des Thüringer Landesverwaltungsamtes zahlen, das in Gera seinen Sitz im Behördenhaus am Puschkinplatz hat.

Mit dem Geld soll die Teilhabe schwerbehinderter Menschen gefördert werden. Bei Arbeitgebern, die sich mit ganzem Herzen darauf einlassen. Zu ihnen gehört Annett Weber , die geschäftsführende Gesellschafterin von Terra Calidus, dem Hersteller und Systemlieferant von Erdwärmekomponenten und Zubehör in der Geraer Siemensstraße. Von aktuell 23 Mitarbeitern beschäftigt sie fünf mit einer Behinderung.

„Entstanden ist das durch meine Freundin. Ihr Sohn ist schwerbehindert und arbeitet in der Werkstatt der Lebenshilfe“, erzählt sie. Anfangs lud sie Mitarbeiter der Werkstatt zum Schnupperarbeiten ein. Heute beschäftigt sie auf der Grundlage von Verträgen mit der Lebenshilfe drei Mitarbeiter und stellte vom freien Arbeitsmarkt selbst zwei weitere ein. Alle haben auf ihre Situation angepasste Arbeitszeiten und -plätze. Für die junge Frau, die im November dazukam, erhält die Firmeninhaberin beispielsweise ein halbes Jahr den Lohn gefördert. Außerdem ist für den Arbeitsplatz eine Maschine bestellt, deren Anschaffung ebenfalls gefördert wird.

Anfangs war die Belegschaft skeptisch, erzählt Frau Weber , ließ sich aber auf Testtage der möglichen Neuen ein. Genau dieses Testen empfiehlt auch Carsten Rebenack von der Agentur für Arbeit. Es sei besser als alle theoretische Aufklärung über mögliche Förderung. Nur so könne Vorbehalten das Futter genommen werden.

„Nach der Testphase durften die Mitarbeiter entscheiden, wen sie behalten wollen. Ich war überrascht. Sie wollten, dass beide bleiben“, erinnert sich Geschäftsführerin Weber . Vor allem monotone Arbeiten nehmen die neuen Kollegen gern ab und erfahren dafür Wertschätzung von den anderen.

Sie sind angekommen. Das sei bei ihnen in Selbstvertrauen und größere Eigenständigkeit umgeschlagen. Und noch etwas wurde bewirkt: „Die Kollegen erleben mit, wie schwer es andere in ihrem Leben haben“, sagt Annett Weber .

„Es gehört auch Mut von den Rehabilitanden und behinderten Menschen dazu“, wirbt Beraterin Katja Oertel für die Menschen, die anfangs noch etwas kritischer als gesunde Arbeitnehmer beäugt werden. Sie erzählt von einem Beispiel, in dem ein junger Mann zur Erprobung in sechs unterschiedlichen Betrieben war. Letztlich sei eine feste Arbeit immer an der Erreichbarkeit mit den öffentlichen Verkehrsmitteln gescheitert.

Die Begleitung während der Erprobungsphase übernehmen Bildungsträger, die regional ausgeschrieben werden. Sie suchen den Kontakt zu Arbeitnehmern und beraten sich mit diesen über die konkreten Anforderungen an die Qualifizierung oder die Umgestaltung des Arbeitsplatzes, beispielsweise für körperlich behinderte Praktikanten. Kommt der Arbeitsvertrag zustande, kann für die Eingliederung des neuen Mitarbeiters ein Lohnzuschuss für maximal 24 Monate gezahlt werden. Aus wessen Kasse dieser kommt, hängt vom Träger der beruflichen Rehabilitation ab. Darüber hinaus entscheidet das Integrationsamt über eine Anschlussförderung. Sie wird in der Regel gezahlt, wenn der Arbeitgeber eine mit der Behinderung begründbare geringere Leistung wahrnimmt. „Doch ich habe schon erlebt, dass sich der Neue so einfuchst, dass keine Minderleistung mehr ausgeglichen werden muss“, erzählt Frau Oertel. Einheitlich für alle schwerbehinderten Beschäftigten ist der Zusatzurlaub geregelt. Sie erhalten fünf Tage mehr als im Unternehmen üblich.

Die Industrie- und Handelskammer (IHK) unterstützt durch rechtliche Beratung sowie Angebote für Aus- und Weiterbildung die Beschäftigung und sensibilisiere Unternehmen dafür, auch aus der Personengruppe der Behinderten Fachkräfte zu rekrutieren, erklärt Sprecherin Evelin Barth. Doch zwingen könne man niemanden. Besonders engagierte Unternehmen werden mit dem Thüringer Akzeptanzpreis geehrt, den die Kammern unterstützen. Ebenso verhalte es sich mit dem 2018 erstmals ausgelobten Thüringer Inklusionspreis „Bewusst anders?!“ der Landesregierung. „Doch letztlich ist das sehr stark abhängig vom Engagement der Unternehmen. Da gibt es Reserven“, schätzt Frank Zimmermann, IHK-Geschäftsbereichsleiter Aus- und Weiterbildung ein. Auch die Handwerkskammer hat das Potenzial erkannt. „Dem Handwerk in Ostthüringen fehlen Fachkräfte. Da ist es für die Handwerkerinnen und Handwerker selbstverständlich, Menschen mit Behinderung eine Chance auf Arbeit zu geben, um ihre offenen Stellen zu besetzen“,sagt Frank Hohle , stellvertretender Hauptgeschäftsführer. „Voraussetzung ist jedoch, dass diese Personen voll in die Arbeitsabläufe integriert werden können.“ In vielen Bereichen könne das gelingen. Allerdings sei das beispielsweise im Bauhandwerk, nur sehr schwer realisierbar, meint Hohle. Dass schwerbehinderte Menschen unkündbar sind, hält Annett Weber für eine Mär. „Natürlich kann es Gründe geben, ihnen zu kündigen“, sagt sie. Eine Kündigung, so erklärt Beraterin Katja Oertel, sei beim Integrationsamt anzeigepflichtig, einschließlich der Gründe. „Auch Schwerbehinderte haben ein halbes Jahr Probezeit“, so die Mitarbeiterin der Arbeitsagentur.

Drei Schritte in einen Job für behinderte Menschen

1. Praktikum Wurde beim Arbeitsuchenden Förderbedarf nachgewiesen, ist eine bis zu zweijährige unterstützte Beschäftigung möglich, die ein Träger bei einem Arbeitgeber in der Region zur Erprobung des Behinderten organisiert. Die Kosten für diesen Zeitraum übernimmt der Träger. 2. Arbeitsbeginn Nach Abschluss des Arbeitsvertrages kann die Agentur für Arbeit, bei Arbeitslosen das Jobcenter, einen Eingliederungszuschuss abhängig von der Minderleistung des Arbeitnehmers von maximal 70 Prozent des Arbeitsentgeltes und für maximal 24 Monate an den Arbeitgeber zahlen. 3. Anschlussförderung Nach Auslaufen des Eingliederungszuschusses besteht die Möglichkeit einer Anschlussförderung . Ob sie überhaupt greift und wie lange und in welcher Höhe sie gezahlt wird, darüber entscheidet das Integrationsamt, das Arbeitnehmer dazu auch berät. (Quelle: Agentur für Arbeit)

Quelle: OTZ, 11.02.2019, Sylvia Eigenrauch